Geschichte

KulturZentrum Bremgarten KuZeB - Träume werden gelebt

"Auf keinen Fall werden wir diesen Zustand weiter dulden!", argumentierte die Stadt. Nach 2 Monaten wurden einige junge Leute im Frühjahr ´90 von den behördlichen Instanzen der Stadt Bremgarten gezwungen, ihre Zelte abzubauen und das Lager zu verlassen. Der Wunsch, in einer Gemeinschaft zu leben, in einem Tipi-Wohnlager die Idylle und Ruhe an den Reussufern zu geniessen, war ausgeträumt. So rabiat aus dem Traum wachgerüttelt, war das Bedürfnis nach eigenem Lebens- und Wohnraum, Gemeinschaft und Autonomie noch nie so gross gewesen. So entschlossen sich die Vertriebenen im Juni ´90 in eine alte Kleiderfabrik im Stadtzentrum von Bremgarten einzuziehen. Sie besetzten den Fabrikteil eines Gebäudekomplexes, welcher schon 16 Jahre zuvor dem nagenden Zahn der Zeit preisgegeben worden war.

Es stand jedoch nicht die ganze Liegenschaft über all die Jahre leer. Im Wohnteil der alten Kleiderfabrik hatte sich schon vor Jahren ein Spanierclub eingemietet. Im Gegensatz zu dem privaten Mieter, der ebenfalls eine kleine Loge im Wohnteil für sich beanspruchte und dazu noch ein guter Freund der BesetzerInnen war, hatte der Spanierclub keineswegs Freude an der neuen Situation. Innert kürzester Zeit entwickelte sich die Alte Kleiderfabrik zum Szenentreffpunkt. Mensch freute sich über das beinahe unglaublich neue Gefühl, einen durch und durch autonomen Raum zu beleben: "Wir konnten tun und lassen was wir wollten!". Die zahlreichen Skater der Region errichteten in einer 200 m2 grossen Halle im Obergeschoss eine Halfpipe. Gleichzeitig entstanden im Untergeschoss zwei Bandräume.

Als Max Meyer, einer der beiden Besitzer, kurze Zeit später seitens der Behörden auf die Umnutzung in der Alten Kleiderfabrik aufmerksam gemacht wurde, meinte er nur: "Für die sozialen Probleme sei die Stadt zuständig.", unternahm aber weiter nichts. Den Behörden blieben damit die Hände gebunden. Sie konnten nicht räumen und führten lediglich Kontrollen bekannter Art durch. So funktionierte das Fabrikprojekt bis zum Neujahr ´91 ohne grössere Probleme.

Fabrikhalle Im Frühjahr ´91 gingen die BesetzerInnen in die Offensive und gründeten den Verein Kultur Zentrum Bremgarten KuZeB. Sie setzten sich zum Ziel, einen Mietvertrag mit den Besitzern auszuhandeln. Die Verhandlungen mit den Gebrüdern Meyer sowie den diversen Behörden fruchteten jedoch nicht. Im April ´91 kam der befürchtete Augenblick. Die Stadt machte ernst und liess die Fabrik räumen. Der Verein wurde aufgelöst, das Ende?

Die 200 BesucherInnen, welche damals am Abschlusskonzert teilnahmen, zeigten, dass dies nicht das Ende sein konnte. Allen war klar: Es muss weitergehen! So wurden in den folgenden Monaten trotz Verboten der Stadt regelmässig Sauvagen in den Gemäuern der alten Fabrik organisiert, welche sehr gut besucht waren und den Enthusiasmus, das Projekt nochmals anzugehen, wieder steigerten.

Zur Eskalation kam es, als am 7. Dezember ´91 die Rechtsradikale Mutschellenfront (RMF) in die Hallen der Kleiderfabrik eindrang, ihr einjähriges Bestehen feierte und eine regelrechte Zerstörungsaktion durchführte. Eine Rockveranstaltung, welche zur gleichen Zeit im Casino in Bremgarten stattfand, versuchte der primitive Haufen ebenfalls zu stürmen. Der Stadtrat hatte Mühe, Gruppierungen nach ihren Gesinnungen zu unterscheiden und so wurden die Vorfälle den ehemaligen BesetzerInnen in die Schuhe geschoben. Die Gebrüder Meyer erhielten daraufhin eine Aufforderung, die Liegenschaft bis zum 15. Februar ´92 zuzumauern. Zur gleichen Zeit drohte das Aargauische Elektrizitätswerk (AEW) die Liegenschaft bei weiterem illegalem Strombezug vom Netz nehmen.

Da der Druck immer grösser wurde, gründeten die AktivistInnen den Verein KuZeB neu. Eine Pressekonferenz mit Journis, den Behörden und den Besitzern fand statt. Dabei wurde vereinbart, dass die AktivistInnen ein Nutzungskonzept erarbeiten, welches als Grundstein für eine Entscheidung seitens der Besitzer und schlussendlich für das Zustandekommen eines Mietvertrages dienen sollte.

Grafitti Ein Organisationsdiagramm, diverse Baupläne und das Betriebskonzept sollten den Besitzern und vor allem auch den Behörden den unbeugsamen Willen nach Freiräumen verdeutlichen. Die Stadt gab zur selben Zeit heimlich eine Offerte zur Zumauerung der Liegenschaft in Auftrag. Die Kosten von Fr. 30´000.- (!) sollten die Eigentümer übernehmen. Die Folge war eine erneute Absage der Besitzer zu sämtlichen weiteren Aktivitäten in der Alten Kleiderfabrik. Die AktivistInnen liessen nicht locker und reichten beim Bezirksamt eine Einsprache ein. Dabei stiess mensch bei einer Aktendurchsicht zufällig auf die Offerte zur Zumauerung. Mit dem Hinweis, viel Geld sparen zu können, waren die Besitzer plötzlich wieder zu Verhandlungen bereit. Am 22. Juni ´92 kam bei Gesprächen mit den Meyers und deren Anwalt eine mündliche Zusage ihrerseits zu stande.

Ein positiver Bericht im regionalen TV und ein Vorstoss an der Gemeindeversammlung folgten. Die Stimmung in den Medien und bei der Bevölkerung war das erste Mal positiv. Darauf konnte der Stadtrat nur noch scheinheilig bestätigen, dass er nie etwas gegen einen Mietvertrag einzuwenden hatte.

Mit Infoständen und einem Punkkonzert auf dem Fabrikdach am Pfingstmarkt, der jährlich Massen anzieht, sollte noch mehr Öffentlichkeit für das Projekt geschaffen werden. Trotz dem grossen Interesse und dem positiven Echo der Öffentlichkeit lief aber weiter nichts, was die Euphorie einwenig bremste, zumal während der Verhandlungsphase auf Konzerte verzichtet wurde.

Im August ´92 ergaben sich neue Möglichkeiten. Der Spanierclub hatte genug von den Kündigungsdrohungen und den zahlreichen Aktivitäten des Vereins. Er verliess das Lokal, welches fortan das neue I-Kafi war. Für die wöchentliche Vollversammlung stand nun ein genügend grosser Raum zur Verfügung. Neue Power war da. Eine neu eingerichtete Bühne ermöglichte kleinere Konzerte, politische Filme wurden vorgeführt, an Partys nächtelang gefeiert und diskutiert. Ohne Absprache mit den Besitzern wurde die erste Miete bezahlt.

Am 27. August ´92 unterzeichnet der Verein einen Mietvertrag, welcher vom Anwalt der Besitzer aufgesetzt, jedoch bis zum heutigen Zeitpunkt nicht gegengezeichnet wurde. Die vereinbarte Miete wurde trotzdem weiterhin monatlich eingezahlt. Mit der Instandstellung der elektrischen Installationen nahm auch das AEW sein Ultimatum zurück.

Kellerabgang Nach dieser langen Verhandlungsphase, konnte endlich das ausgearbeitete Nutzungskonzept Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt werden. Mit einer neuen Konzertbühne und einer massiven Bar konnte am 10. Oktober ´92 eine neue Ära eingeleitet werden. Die Probleme liessen nicht lange auf sich warten. Mit Massnahmen konnten jedoch Stadt und Nachbarn immer wieder in Zaun gehalten werden.

Die Bedürfnisse waren noch längst nicht abgedeckt und der Enthusiasmus schien grenzenlos zu sein. In den diversen leerstehenden Räumen entstanden einen Infoladen, ein Kino, ein Secondhand-Laden, ein Skatepark, ein Sportraum, ein Pennraum für die Bands, ein Konzertkafi, ein Billardraum, Ateliers, ein Fotolabor, eine Werkstatt und etliche Lagerräume.

In der Bevölkerung fanden die Aktivitäten wenig Anklang. Das Verständnis scheiterte allzu oft an den Vorurteilen der bürgerlichen Gesellschaft. Mit verschiedenen Konzerten, Vorträgen, Lesungen und Diskussionen wurde eine Aktionswoche unter dem Motto "Besichtigen sie ihre Vorurteile" durchgeführt, welche Einblicke in das vielfältige Angebot, die Strukturen und die Arbeit des Vereins gewährte.

Die ganze Die Möglichkeit, seine Vorurteile zu besichtigen, vermochte sicherlich bei einigen Zweiflern gewisse Ängste abbauen - zumindest bei denen, die davon Gebrauch machten. Auch die Gebrüder Meyer schienen mit der Entwicklung des Fabrikprojektes einverstanden zu sein - die Miete wurde jedenfalls immer angenommen. Die hängigen Auflagen der Versicherungsämter konnten im Verlaufe der Zeit realisiert werden - nun schien die Verhandlungsphase wirklich abgeschlossen zu sein.

Bar Die ganze Kraft konnte nun dafür eingesetzt werden, den Traum eines autonomen, basisdemokratischen Freiraumes zu verwirklichen und all die Ideen und Projekte umzusetzen. Der egoistischen und konsumorientierten Aussenwelt wird Menschlichkeit, Solidarität, Meinungsfreiheit, Vertrauen, Integration, Vielfalt und Offenheit gegenübergestellt. Die basisdemokratische Organisation bietet allen Beteiligten gleiches Mitbestimmungsrecht, fordert aber auch Verantwortung zu übernehmen und die Beschlüsse mitzutragen. All die geleistete Arbeit ist freiwillig und gratis. Die Lebensform sollen konkrete Alternativen aufzeigen und die Gelegenheit geben, sich vom Konsum- und Autoritätsdenken im Kapitalismus zu lösen. Die Möglichkeiten in einem wirklichen Freiraum sind beinahe unbegrenzt, ganz im Gegensatz zur Aussenwelt. Diese Tatsache verbirgt viel Konfliktpotenzial in sich.

Die Auseinandersetzung mit ständig wiederkehrenden Problemen und nicht zu letzt auch mit der eigenen Einstellung liess mit den Jahren bei vielen die Euphorie verblassen. Der Freiraum wurde hauptsächlich zum Konsumieren benutzt. Auf diese Weise wird die Minderheit, welche aktiv ist, von der Mehrheit, welche nur konsumiert ausgebeutet. Weit entfernt vom Ideal des Zusammenlebens ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Verschiedene Versuche sich neu zu organisieren sind allzu oft an Eigeninteresse und mangelnder Bereitschaft gescheitert.

Während das KuZeB in der Bevölkerung und den Medien weitgehend akzeptiert wurde, liessen die Behörden keine Gelegenheit aus, auf Konfrontationskurs zu gehen. Sei es, wenn sie aus Theaterutensilien Waffen machen, uns wegen Vorstosses gegen das Antirassismus-Gesetz anzeigen (notabene wegen einer "Gegen Nazis"-Fahne) oder auch andere Versuche das Projekt zu kriminalisieren zwang den Verein nach 7 Jahren ziemlich in die Knie. Ansonsten konnten die Probleme mit Behörden und Besitzer mit viel Aufwand bereinigt werden. Die Brandschutz- und Elektroinstallationsvorschriften wurden dabei stets eingehalten.

Nachdem in den 90ern eine linksalternative, multikulturelle Strassenkultur herrschte hat sich in den letzten Jahren ein Pub in der Altstadt zu einem überregionalen Treffpunkt der rechtextremen Szene entwickelt. Rechtsextremistische Gewalttaten haben in Bremgarten massiv zugenommen. Das KuZeB setzte sich seit Beginn aktiv gegen Rechtsextremismus und Faschismus ein und ist daher immer wieder Zielscheibe solcher Anschläge geworden. Die Ereignisse Mitte Juli 2002, als das Schweizer Fernsehen DRS mit der Sendung "Bsuech in..." in Bremgarten gastierte, brachten dann einen vorläufigen Höhepunkt. Das KuZeB war im Fernsehen, mit Flyern und am Fest prominent vertreten. In der folgenden Nacht hat eine Gruppe rechtsextremer Skins das KuZeB angegriffen und eine Person auf der Strasse spitalreif geschlagen. Die Behörden blieben weiterhin passiv, und die Bevölkerung schwieg. Erst das grosse Medieninteresse zwang den Stadtrat zu handeln. Er liess die Strassen nachts von Securitas bewachen und setzte die Polizeistunde wieder konsequent durch.

Frontalansicht Wer für all die Probleme verantwortlich gemacht wurde, liegt auf der Hand, das KuZeB geriet immer mehr unter Druck. Die Behörden liessen die Möglichkeit nicht aus und setzte eine Verfügung auf, welche das KuZeB unter das Gastgewerbegesetz stellen soll, mit dem Ziel, den Freiraum zu kontrollieren. Die finanziellen, rechtlichen und organisatorischen Folgen wären das Ende für das nicht-kommerzielle Projekt. Trotz dem jahrelangen Entgegenkommen seitens der AktivistInnen verweigert der Stadtrat jeden weiteren Dialog und setzt auf den Verfahrensweg. Nach einer Beschwerde beim kantonalen Departement für Inneres stellte sich zusätzlich heraus, dass es keinen vergleichbaren Fall gibt und deshalb ein Präjudiz geschaffen werden muss.

Der Aufwand diesem Verfahren entgegenzutreten ist immens. Als dann noch die inneren Konflikte zu eskalieren drohten, hatten die AktivistInnen die Schnauze voll. In einer Krisensitzung Anfang 2004 einigten sich alle, einen interimistischen Revolutionsrat (iRR) zu gründen, welcher ab dann die Geschicke des Vereins übernahm. Der iRR bestand aus Personen, welche sich aktiv für das Weiterbestehen des autonomen Freiraumes einsetzten, um damit wieder eine Zukunftsperspektive zu schaffen. In der Zwischenzeit hat sich der iRR aufgelöst und die VVs finden wieder regelmässig statt.

Was bleibt, ist die Tatsache, dass ein selbstverwalteter, autonomer Freiraum nur funktionieren kann, wenn sich alle gemeinsam statt gegeneinander dafür einsetzen, dass unsere Träume gelebt werden können. Wir können noch Ziele und Utopien haben.


Das politische Verständnis und die Ziele haben sich über all die Jahre nie geändert. Der Verein führt ein nichtkommerzielles, selbstverwaltendes Kultur- und Politzentrum im linksalternativen Spektrum und pflegt einen regen Austausch mit gleichgesinnten Leuten im In- und Ausland. Dazu möchte das KuZeB andere und neue Gesellschafts- und Lebensformen ausprobieren, in deren alle Beteiligten die gleichen Rechte und Pflichten wie auch die gleiche Verantwortung haben. Die Grundpfeiler bilden Menschlichkeit, Solidarität, Meinungsfreiheit, Vertrauen, Integration, Vielfalt und Offenheit. Diese Formen sollen konkrete Alternativen aufzeigen und Signalwirkungen nach aussen haben. Natürlich stiessen diese Ansprüche an Grenzen. Je länger das Projekt weiterging, desto mehr Erfahrungen konnten gesammelt werden. Aus den Erfahrungen mussten Zugeständnisse gemacht werden. Gewisse Ansprüche wurden dadurch eingeschränkt. Da es immer wieder Leute gab, welche die Ideologie des KuZeBs falsch interpretieren und aus diesen Missverständnis Geld klauten oder ihrem Zerstörungswahn freien Lauf liessen, mussten zum Beispiel die KuZeBlerInnen Schlösser installieren und somit einen der wichtigsten Ansprüche aufgeben: Alle können alles machen und alles ist für alle(s) offen! Gemeinsam jedoch konnte der Traum über Jahre gelebt werden und es ist noch kein Ende in Sicht.

Wir wollen noch Ziele und Utopien haben und unsere Träume leben! Und alles wird gut!

Überarbeiteter Text von Mösi, ursprünglich erschienen 1997 im "Karnikl" Nr. 1