Der MigrantinnenRaum in Aarau Seit gut eineinhalb Jahren gibt es im Aargau den Verein
MigrantinnenRaum. Um aus erster Hand zu erfahren, was er ist und
bezweckt, trafen wir uns mit den zwei Gründungsmitgliedern zum
Gespräch. Erzählt doch erst einmal etwas über Euch... Vera: Ich komme aus Ungarn und lebe schon seit 11 Jahren in der
Schweiz. In Ungarn habe ich das Gymnasium besucht und eine
künstlerische Ausbildung gemacht. Ich arbeitete in einer der
grössten staatlichen Volkstanzgruppen. Nach der Heirat mit einem
Schweizer lebten wir drei Jahre lang in Budapest. In dieser Zeit war
die Niederlassungsbewilligung meines Mannes noch an strenge
Regelungen gebunden. Zum Beispiel durfte er nicht mehr beliebig in
seine Heimat reisen. Inskünftig brauchte er einen
Einladungsbrief von seiner Familie um die Erlaubnis zu erhalten, sie
zu besuchen. So wurde es uns dort zu eng und wir haben uns
entschlossen, in der Schweiz zu leben. Cevair: Ich bin Kurdin und lebe seit über 6 Jahren in der
Schweiz. Der Grund für meine Immigration in die Schweiz war
meine politische Tätigkeit in der Türkei - meine und die
meines Mannes. Da waren wir in Gefahr. Welche Probleme stellten sich bei der Einreise in die Schweiz? Cevair: Ich hatte dabei eigentlich keine Probleme, weil das ganze
ziemlich gut geplant war. Ich hatte also politisches Asyl beantragt
und wurde nach einem Jahr als Flüchtlingsfrau anerkannt. Wie ist der Verein MigrantinnenRaum entstanden? Vera: Durch unsere Bekanntschaft. Wir haben uns bei der Caritas
kennengelernt, wo ich einen Deutschkurs leitete, den Cevair besuchte. Cevair: In der Türkei war ich in Frauengruppen aktiv. Daher
habe ich auch hier, wo ich jetzt lebe, danach gesucht. Zuerst habe
ich die kurdisch-türkische Frauengruppe vom HEKS besucht, die
dann aber nach einigen Monaten auseinanderfiel. Dann blieb nur noch
das Frauenzentrum, aber es wurde mir da irgendwie zu eng. Dann habe
ich mich eher nach Zürich und Basel orientiert, wo die Stimmung
ganz anders ist. Es gibt dort eigenständige Migrantinnengruppen,
wo du dich sofort aufgenommen fühlst. 1995 habe ich von der
aargauischen Frauenlandsgemeinde erfahren. Das Tagungsthema war
"Solidarität", trotzdem war ich als einzige Migrantin
anwesend. Migrantinnen waren unter dem Motto "Solidarität"
nicht erwähnt. Diese Erfahrung war irgendwie ausschlaggebend. Vera: Ohne eigene Organisation werden wir weniger wahr- und
ernstgenommen. Wir haben keine eigene Stimme und sind keine
Ansprechspartnerinnen. Wir werden oft von Schweizerinnen vertreten.
Deshalb braucht es eine Migrantinnengruppe auch im Aargau. Cevair: Es spielt auch eine Rolle, dass wir uns nicht als Opfer
sehen. Wir wollten nicht bemitleidet werden. Wir haben eine andere
Geschichte, andere Hintergründe. So haben wir uns also
zusammengetan, uns einen Namen gesucht und eine Schweizerin, die
gleichberechtigt mit uns zusammenarbeiten kann, die ihr Wissen mit
uns teilt. Offiziell haben wir dann am 1. Oktober 96 einen Verein
gegründet. Worin besteht Eure Arbeit? Was ist Sinn & Zweck des
MigrantinnenRaums Aargau, wofür setzt Ihr euch ein? Cevair: Wir möchten Räume schaffen, wo sich Migrantinnen
unter sich treffen und austauschen können, wo sie die
Möglichkeit haben, ihre Talente und Fähigkeiten
einzubringen und weiterzuentwickeln, wo sie einander gegenseitig
unterstützen können. Der Raum soll nicht nur für
Migrantinnen, sondern auch von Migrantinnen sein. Vera: Wir wollen auch Vorurteile in der Bevölkerung und unter
uns abbauen. Zum Beispiel im Aargau beraten Schweizerinnen die
Migrantinnen. Beratene und Beratende sind sich nicht nahe genug.
Obwohl die Schweizerinnen unsere Situation in der Regel nicht so gut
verstehen können wie Frauen, die eine ähnliche Geschichte
haben, werden die Kompetenzen von Migrantinnen zu solcher Arbeit oft
in Frage gestellt oder ihnen nicht zugetraut. Cevair: Für die meisten Leute ist es jedoch sehr schwierig,
diese Art von subtilem Rassismus zu verstehen. Natürlich gibt es
auch unter der Migrantinnen Rassismus. Ohne Macht ist Rassismus zwar
anders, aber Rassismus bleibt Rassismus. Damit sollte sich jede Frau
auseinandersetzen. Aber ich denke, es geht auch um Macht. Schweizer
Frauen haben weniger Macht als Schweizer Männer. Da sie
hierarchisch aber immer noch höher stehen als die Migrantinnen,
wollen sie diese Macht nicht abgeben. Zwar gibt es im Alltagsleben
viel Solidarität, aber wenn es dann um Macht oder Karriere geht,
hört diese auf. Welche Nationalitäten haben die Frauen, die an Eure
Treffen kommen? Es sind Frauen aus Lateinamerika, aus dem ehemaligen Jugoslawien,
Thailand, aus Ost-Europa, Sri Lanka, aus dem Iran, kurdische und
türkische Frauen. Weshalb beschränkt sich Eure Arbeit auf Frauen? Vera: Ich arbeite gerne mit Frauen. Wir fühlen uns freier und
offener, wenn wir unter uns sind. Ausserdem gibt es in der
Migrationspolitik Ungerechtigkeiten, die speziell Frauen betreffen.
Zum Beispiel ist in vielen Fällen ihr Aufenthalt in der Schweiz
von der Aufenthaltsbewilligung ihres Mannes abhängig. Das
bedeutet, wenn eine womöglich von ihrem Ehemann misshandelte
Frau sich scheiden lässt, wird sie zurückgeschafft, der
Mann aber nicht! Viele Frauen bleiben deshalb bei ihren Ehemännern,
damit sie weiterhin hier leben können. Die Frauen kennen nur
wenige Möglichkeiten, in der Schweiz bleiben zu dürfen:
Entweder mit einem "Tänzerinnenvisum" oder durch
Heirat. Beides bedeutet Abhängigkeit. Cevair: Es gibt schon Frauen, die alleine einreisen. Wenn du aber
aufgrund prekärer wirtschaftlicher Verhältnisse oder
unerträgliche Normen und Traditionen aus deinem Land fliehen
musst, hast du grosse Schwierigkeiten. Du kannst illegal einreisen,
aber dann hast du keine Rechte und wirst wirtschaftlich ausgebeutet. Macht Ihr auch politische Arbeit, etwa im Bereich Asylpolitik
oder Feminismus? Vera: Wir solidarisieren uns mit Organisationen oder Leuten, die
für eine gerechtere Asylpolitik kämpfen. Sofern das möglich
ist, versuchen wir natürlich auch, Lobbyarbeit zu machen. Ich
bin aber nicht die überzeugte und aktive Politikerin wie Cevair.
Für mich geht es vor allem um die Integration der Migrantinnen. Wart Ihr in Eurem Herkunftsland schon frauenpolitisch aktiv? Cevair: Ich war in der Türkei in Frauengruppen. Vera: Nein, ich habe zu Hause nichts in diesem Bereich gemacht. In diesen Tagen wird im Parlament die Asylgesetzesrevision
diskutiert. Wie würde eine frauenfreundliche Asylpolitik für
Euch aussehen? Cevair: Im geltenden Asylrecht werden Frauen mit Männern
mitgemeint, wenn sie kein eigenes Asylgesuch stellen. Es müsste
in jedem Fall separate Asylverfahren für Frauen und Männer
geben. Eine Frau ist eine legitime, eigenständige Person. Gewalt gegen Frauenkörper, wie Klitorisbeschneidung, sexuelle
Gewalt, Verfolgung durch die Familie etc. sind auch Asylgründe. Irene Zurück zur Hauptseite vom karnikl oder des KulturZentrums Bremgarten KuZeB
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